Aufstieg auf den Grand Morgon von Johanna Fischer

August 2015


Am Vormittag beginnen wir in einer Gruppe von etwa zehn Menschen
den Aufstieg zum Grand Morgan.
Wir schleppen unsere Schlafsäcke und viele Kilo Proviant den Berg
hinauf, einige klettern, andere schnaufen. Mit Gesängen und
Scherzen versuchen wir der Mittagssonne und der Anstrengung zu
trotzen. Nachdem der größte Anstieg bewältigt ist und ein erster
Teil des Proviants vernichtet, erstreckt sich vor unseren Augen
eine Mondlandschaft. sie ist von Gras und vereinzelt von Bäumen
bedeckt. Diese Landschaft beflügelt unsere Phantasie und lässt die
Gedanken schweifen. So wandern wir durch die grünen Hügel auf
unserer Expedition. Zwischendurch lässt wer knatterndes Dröhnen
ertönen. „Trompetenkäfer!“, meint er nur leicht hin. Und niemand
hinterfragt dies in unserer Welt.
Schließlich erreichen wir unsere Schlafstelle, eine Kuhle
unterhalb der Spitze des Grand Morgan. Einige legen sich ab,
andere sammeln Holz, wir schaffen uns unser Lager, dann ruhen wir
alle ein wenig. Wir schütteln uns vor Lachen beim Scharade spielen
im strahlenden Sonnenschein. Doch dann ziehen dunkle Wolken auf,
die niemand hat kommen sehen. Ein Regen wäre nun fatal, uns bietet
sich kaum Unterschlupf. Also steigen einige von uns ein Stück den
Berg hinauf, um den Himmel besser betrachten zu können. Wir rufen
ihm entgegen, tanzen ihm entgegen, tanzen für ihn, werfen Steine,
stampfen in den Boden. Der Himmel klärt auf. Das war sicherlich
nicht unser Verdienst und doch fühlen wir uns wie Held*innen.
Hier spüre ich: wir sind allein mit uns. Hier scheint etwas von
uns abzufallen. Ich beobachte es an uns allen. Ich entdecke neue
Gesichtsausdrücke, Sanftheit, offenes und klares Lachen, höre
Stimmen und eine andere Kraft liegt darin.
Wir steigen jubelnd zurück zum Lager, schaufeln uns Essen in den
Bauch, entzünden ein Feuer. Noch kurz glühen die Berge, dann wird
es schnell Nacht. Wir erzählen am Feuer. Einer strahlt mit seiner
Stirnlampe ins Feuer. „Das muss so!“ meint er, denn er sei ein
Husky. Seine strahlend blauen Augen beweisen es uns. Früh werden
wir müde. Einer redet uns unermüdlich in den Schlaf. Wir auf dem
Mond und über uns noch ein Mond und so viele Sterne, dass wir sie
nicht mehr zählen können. In Reihen liegen wir eng beieinander in
unseren Raumanzügen. Die Nacht ist kalt. Die Mondlandschaft
verwandelt sich in einen Sumpf, als ich kurz aufwache ist alles um
mich nass. Als ich kurz aufstehe, weil die Blase drückt, wiegen
meine Schuhe schwer auf dem Boden, versinken. Ich schließe die
Augen wieder. Beim nächsten Öffnen zarter Sonnenschein.
Verschlafen blicken wir umher. Bester Laune unterhält uns bereits
der wieder, der uns in den Schlaf redete. Wir holen unser Essen
von den Bäumen und richten ein Frühstück.
Doch lauert uns schon der nächste Zauber auf: Aus der Ferne
zunächst leichtes Klimpern und plötzlich erscheint hinter einem
der Hügel eine riesige Herde von Schafen, die schnell das Tal
hinab laufen, begleitet von zwei Menschen. Sie schenken uns kaum
Beachtung. Doch alle sind wir aufgesprungen, blicken gebannt auf
dieses Spektakel, das in unseren Augen fast ein wenig unwirklich
wirkt.
Diese Stunden mit euch dort oben berühren mich – noch heute. Und
auch jetzt, wo ich versuche, das Erlebte in Worte zu fassen,
scheitere ich. Und jede von uns wird noch andere Ereignisse,
Versionen und Erinnerungen an diese Reise in der Reise beizufügen
haben. Da ist ein Teil von mir. Ich wäre gern mit euch
weitergeflogen - noch immer mit euch dort oben.